Vom 1. April 2023 bis 30. Juni 2023 darf ich dank Förderung durch den Fonds Darstellende Künste in die Recherche für ein neues Projekt eintauchen: Fluchtwurzeln - European Family Heritage:
Menschen auf dem Weg. Europas Geschichte ist voller kleiner und großer Bewegungen, freiwilliger und erzwungener. Hugenotten-Verfolgung, Wolhynien-Deutsche, Zipser, Republikflucht: Meine Familiengeschichte ist ein Sammelbecken historischer Prozesse, die ich erforschen will. Mittels Erzählkunst entstehen aus persönlichen und kollektiven Fluchtgeschichte(n) Verbindungen zum Heute und zwischen uns.
Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR.
Supported by Fonds Darstellende Künste with funds from the Federal Government Commissioner for Culture and the Media within the program NEUSTART KULTUR.
Hier veröffentliche ich Auszüge aus meiner Arbeitsdokumentation mit Tagebuchcharakter. Es ist meine Materialsammlung von Puzzleteilen, Fundstücken, historischen Ereignissen, privaten Entdeckungen auf dem Weg durch die Geschichte. Die Sammlung ist Fundus für ein Erzählstück.
Um lebende und verstorbene Persönlichkeiten und deren Angehörige zu schützen, gibt es hier keine Vor- und Nachnamen oder konkrete Daten.
Heute geht es offiziell los - Recherchezeit, Aufbruch in die Vergangenheit, Forschen, Ergründen, Entdecken, Entwickeln. Ursachen, Auslöser, Querverbindungen, vom Persönlichen ins Gesellschaftliche und zurück. Zeitreisen, um Antworten zu finden, die Perspektiven für heute und morgen eröffnen. Geschichten zusammentragen, von Verlust und Hoffnung, Ohnmacht und Aufbruch, Einsamkeit und Zusammenhalt. Oder?
Erzählen, wie es war und gewesen sein könnte, werden könnte.
Gepäck für diese Reise? Ideen. Fragen. Lupe, Mikroskop, Fernglas. Empathie. Neugier. Offenheit. Dem Raum geben können, was kommt, was sich zeigt.
Anfänge gemacht:
- Titelbild gezeichnet
- Datenblätter für Großeltern angelegt / gezeichnet
- Internetsuche nach Ahnenforschungsdatenbanken
- Leitfragen formuliert
Fahrplan/ Mindmap erstellt
Bibliothek, Ausleihe von Reiseführer Masuren mit Gdansk und Reiseführer Rumänien sowie "Die Geschichte der Zweiten Weltkrieges" von Basil H. Lidell Hart
Internet-Recherche zu
- Praust/ Danzig
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Pruszcz_Gda%C5%84ski
- https://de.m.wikipedia.org/wiki/Flucht_und_Vertreibung_Deutscher_aus_Mittel-_und_Osteuropa_1945%E2%80%931950
- Potsdamer Konferenz
Einen Anfang machen. Mein Startpunkt: Mein Großvater, Vater meiner Mutter. Geboren und aufgewachsen in Praust bei Danzig, Pruszcz Gdanski.
Was weiß ich über ihn, über seine Kindheit, sein Aufwachsen, seine Flucht?
Kaum etwas. Wenn er anfing von früher zu erzählen, lauschte ich in einer Ambivalenz von Faszination und Ungläubigkeit. Klang es doch wie eine Geschichte, aus einem Buch oder einem Film. Weit weg,
nicht vorstellbar. Als großes Kind, Jugendliche, hörte ich Unerhörtes, Fremdes. Von Spatzen, die in Ermangelung von Essbarem gefangen wurden, rohe Eier aus Vogelnestern, die ausgesogen wurden.
Brennholz oder Kohle, von den schwerfälligen, langsam fahrenden Güterzügen geklaubt im Dunkel der Nacht.
Meine Großmutter wurde unruhig, wenn sie mitbekam, dass Opa von früher erzählte: Ach lass doch das alte Zeug!
So wuchs in mir eine Einschätzung, dass das Alte nicht gut, nicht erzählenswert war. Etwas, das man lieber vergessen sollte.
Heute denke ich: Hätte ich bloß mehr gefragt. Mein Opa hatte selbst nichts Trauriges oder Beklommenes an sich, wenn er mir erzählte. Bei ihm klang es wie Abenteuer, und er lachte sein typisches
verschmitztes Lachen dabei, blickte mich liebevoll an – vielleicht mit dem Gedanken, dass ich es zum Glück besser hatte als er. Wir alles es inzwischen besser hatten. Mit Dankbarkeit dafür.
Vielleicht war es aber auch seine Strategie, ein Abenteuer daraus zu machen, einen Roman. So konnte er Abstand halten, und Traumatisches unwirklich, weniger bedrohlich werden lassen?
So viel hatte er aus eigener Kraft, mit seiner Hände Arbeit, mit seiner Zuversicht erreicht. Zielstrebig, aufrichtig.
Wo kam dieser bewunderswerte Mann her? Wer waren seine Eltern? Ist er allein geflüchtet, oder mit seiner Familie? Wie sah sein Zuhause aus in Praust? Konnte er Polnisch sprechen? Was genau hat er
alles zurückgelassen: Zuhause, Familie, Kindheit, Heimat? Menschen, die er liebte?
So vieles möchte ich fragen, aber da ist niemand mehr, der antworten könnte.
Ahnenforschung, Genealogie:
- Recherche in https://www.compgen.de/
- Gefolgt: Link zu https://wiki.genealogy.net/Danzig#Kirchenb.C3.BCcher.2C_Verfilmte_Quellen.2C_Batchnummern
- Gefunden: Heiratsregister Standesamt Praust, durchsucht von 1920 - 1928, zwei Einträge mit Nachnamen gefunden:
1921 - eine Ehe mit Scheidungsvermerk von 1924
1928 - eine Ehe von zwei jungen Leuten, Jahrgang 1908 und 1909, vermutlich meine Urgroßeltern; Heirat recht kurz vor der Geburt meines Opas im Februar 1929; und hatte er nicht eine ältere
Schwester?
Außerdem gefunden: Adressbuch Danzig 1929, mehrere Einträge mit passendem Nach- und Vornamen zu Eheschließungen
Unglaublich, was die Digitalisierung inzwischen möglich macht, auch dank so vieler fleißiger ehrenamtlich Forschender!
Recherche zu Bartholomäusnacht und Hugenottenverfolgung,
Beiträge dazu in der DLF-Audiothek:
https://www.deutschlandfunk.de/bartholomaeusnacht-100.html,
https://share.deutschlandradio.de/dlf-audiothek-audio-teilen.html?audio_id=dira_DRW_59402f6e
Kontakt zu einem erfahrenen Genealogen aus Hannover.
Ein äußerst freundliches und ergiebiges Telefonat über fünfzig Minuten, Hintergründe zu Angeboten der Ahnenforschung, Geschichtliches, Wissenswertes, empfehlenswerte Recherche-Angebote im
Internet und offline.
Schwerpunkt des Gesprächs ist Danzig, da mein aktueller Fokus auf meinem Opa und seiner Herkunft, Abstammung, Situation liegt
Großartiger Austausch!
Neue Ansätze für weitere Nachforschungen zu Vorfahren erhalten, es geht also immer weiter und tiefer in die Geschichte.
Logbuch auffüllen:
zuende gehört: DLF Audiothek, 1 Stunde History DLF Nova, Bartholomäusnacht
gelesen: Reiseführer Masuren, Infos zu Polen
geprüft: Zugreise nach Danzig - mindestens 10 Stunden 11 Minuten!!!!!
Was ist das aber, im Gegensatz dazu, wenn man die Strecke zu Kriegszeiten, womöglich zu Fuß zurücklegen musste.
Bin hin- und hergerissen: Reise nach Danzig - ja, klar, toll, auf Spuren wandeln (die heute sicher nicht mehr sichtbar),
aber was will ich wirklich dort, was sind meine Ziele, was kann ich vor Ort erreichen?
Zusammenfassung zu Bartholomäusnacht - Infos
Bartholomäusnacht 23./24.8.1572: Kurz nach der symbolträchtigen Vermählung von Margarte von Valois, der Schwester des (minderjährigen) Königs Karl IV.
mit Heinrich von Navarra, dem führenden Kopf der Hugenotten, welche eine Art Versöhnung einleiten sollte, fand das blutige Massaker in Paris statt:
Nach der Ermordung des militärischen Führers der Hugenotten, des Admirals Coligny, in Paris, mordete ein entfesselter Mob bis zu 3.000 weitere Menschen.
Männer, Frauen, Kinder sterben, auf übelste Weise hingerichtet.
Bereits 10 Jahre zuvor, am 1.März 1562, metztelten bewaffnete Gefolgsleute des Herzogs Guise von Lothringen in einer Kirche und dem zugehörigen Ort Wassy
Hugenotten nieder.
Seitdem wurde Guise der Schlächter von Wassy genannt. "...der 1. März 1562 markiert den Beginn eines blutigen, Jahrzehnte währenden Bürgerkriegs."
"Der Herzog von Guise fiel 1563 einem Attentat zum Opfer. Sein Gegenspieler, Admiral Coligny, starb wenige Jahre später am 24. August 1572,
als in Paris binnen weniger Stunden Hunderte von hugenottischen Adeligen ermordet wurden. Im Gedächtnis geblieben ist diese blutige 'Bartholomäusnacht'
durch zahlreiche Romane, Opern und auch Filme. Vom „Massaker von Wassy“ aber spricht kaum noch jemand – obwohl dieses Ereignis in seiner
historischen Bedeutung kaum zu überschätzen ist: Am 1. März 1562 begann der erste von insgesamt acht Hugenottenkriegen, deren Ende 1598 das Edikt von Nantes markierte – mit weiterhin gravierenden
Nachteilen für die Protestanten. Friede kehrte damit nicht ein."
(Quelle: DLF Audiothek, https://www.deutschlandfunk.de/der-schlaechter-von-wassy-100.html, aufgerufen am 12.04.2023)
Der Hannoversche Genealoge schickt per E-Mail verschiedene Dokumente als Foto, aus Archiven, und ermuntert mich mit einer Dokumentvorlage, einen Stammbaum anzufangen :-)
Muss unbedingt Dankes-Mail schreiben, eine tolle Unterstützung!!!
Weiteres zu Hugenotten:
Fluchtrouten der Hugenotten: Kulturroute Europarat Hugenotten-und Waldenser Pfad , siehe links
Deutsches Hugenotten Zentrum
30jähriger Krieg 1612-1648, Kardinal Richelieus politische Absichten, Ludwig XIV Hugenotten-Verfolgung
Zwangs Katholisierung; ca. 200.000 Hugenotten flohen, auch nach Deutschland, hier vor allem Hessen, Brandenburg
Brandenburg protestantisches Herrscherhaus lockte Hugenotten, um sein vom Krieg gebeuteltes und ohnehin dünn besiedeltes Land wieder aufzupäppeln.
Hugenotten interessant wegen ihres Images als handwerklich-wirtschaftlich erfolgreicher Menschen
Daher gut aufgenommen von Obrigkeit, egal wohin (Südafrika, Nordamerika, Europa), mit Vergünstigungen bedacht (Kredite, Privilegien) und daher erfolgreich
=> Neid in Bevölkerung , Anfeindungen
Heute:
siehe demografische Entwicklung, die Parallele Fachkräfte - und Arbeitskräfte-Mangel: ebenfalls immer wiederkehrende Phänomene, z.B. die sog. Gastarbeiter ab den 1950er Jahren
Fundgrube Audiothek:
Beitrag Dlf Audiothek
Espelkamp in Nordrhein-Westfalen. Ein Besuch in der Flüchtlingsstadt schlechthin
Beitrag DLF Audiothek, Hintergrund
Vertreibungen nach 1945
Nach der Übertragung der Ostgebiete an Polen
Beiträge Dlf Fazit
Deutsche Vertriebene und Geflüchtete
Dänemark eröffnet Museum https://www.deutschlandfunkkultur.de/deutsche-fluechtlinge-daenemark-museum-oksbol-100.html;
Seite des Museums, dass sich mit der Geschichte deutscher Geflüchteter und Vertriebener am Ende des 2. Weltkriegs und danach beschäftigt : https://flugtmuseum.dk/de/
"Dechiffrieren" der Ehe- und Geburtsurkunden der Danziger Vorfahren , alte Handschrift, siehe rechts: "Deutsche Schreibschrift" im Vergleich mit der lateinischen Druckschrift. Manches hängt dabei
auch noch von der Handschrift des jeweiligen Standesbeamten ab.
Zuende gelesen Rolf Wernstedt, deutsche Erinnerungskultur
Tief beeindruckt
Unterdrückung, Verfolgung Quälerei
Deutsche -> Juden und andere
Soldaten als Kriegsgefangene
Vertriebene in Internierungslagern in Deutschland, Polen u.a, teils als Zwangsarbeiter * innen
Weitergearbeitet an Stammbaum Vorfahren von Opa Günter Johannes aus Danzig
DLF Audiothek, Beitrag über Tschechien (Link siehe unten): Junge Tschechen wollen vertriebene Deutschstämmige als Teil ihrer Geschichte verstehen
Bedrückend und frustrierend: Im Verlauf der Menschheitsgeschichte immer wieder Unterdrückung, Krieg und Mord, weil eine Seite meint, ihr Glauben, ihre Haltung, ihr Anspruch sei richtiger – oder aus kalter Berechnung und Machtstreben.
Prinzip Auge um Auge? Nazis quälen, morden Unterdrückte in den besetzten Gebieten, besonders in Polen und der damaligen Tschechoslowakei -> Vertriebene Deutsche/Deutschstämmige aus Ostgebieten erleiden Gewalt durch die die dortige Bevölkerung und Obrigkeit; in Tschechien z.B. der Zug der Vertriebenen aus Brünn zu dem Lager in Pohořelice (Pohrlitz) auf halbem Weg zwischen Brünn und der Grenze zu Österreich.
https://kulturstiftung.org/zeitstrahl/der-bruenner-todesmarsch - Seite der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen; drastische Schilderung des Marsches und der Vor- und Nachgeschichte: Der „Brünner Todesmarsch“ begann am 31. Mai 1945, Aufarbeitung und Stand heute; aufgerufen zuletzt am 28.04.2023
Initiative von Tschech*innen, eine Erinnerungskultur und Aufarbeitung in Gang zu setzen;
Beitrag zuletzt aufgerufen am 28.04.2023
Radiobeitrag bei DLF Kultur, Sendung Plus Eins am 23.04.2023
(man merkt schon, wo meine Radio-Präferenz liegt...)
Zu Gast ist Elif Şenel von DOMiD, Dokumentationszentrum und Museum über die Migrationsgeschichte in Deutschland e.V. Der Verein befasst sich mit der Migrationsgeschichte in Deutschland ab 1945.
Die Eltern der Kölner Journalistin Elif Şenel kamen in den 1970er Jahren aus der Türkei nach Deutschland. Heute sammelt sie für ein zukünftiges Migrationsmuseum Gegenstände und Geschichten von Menschen, die sich hier ein neues Leben aufgebaut haben.
Elif Şenel erzählt ein Beispiel aus der Sammlung von DOMiD:
Ein Gegenstand, der im Museum gezeigt werden soll / sich in der Ausstellung befindet, ist eine kleine weiße Muschel. Diese Muschel stammt von einer Familie, die 2015 geflüchtet ist und in Italien auf die Fähre gewartet hat. Die Kinder der Familie sammelten während des Wartens Muscheln am Adriastrand. Diese Muscheln haben sie dann verschenkt, an Menschen, die ihnen begegnet sind und ihnen geholfen haben. Die letzte Muschel ist nun im Museum und erzählt diese Geschichte aus dem Jahr 2015 und dem Sommer der Migration.
aufgerufen am 24.04.2023
Tauche tief ein in Geschichte:
Suche französische Gemeinde, Hannover, Berlin, Danzig: Geschichte der Hugenotten.
Finde Geschichte der Stadt Danzig. Im Zuge der Reformation siedeln sich auch dort Hugenotten an.
Geschichte des Staates Preußen. Wie Brandenburg-Preußen sich reformierte und protestantisch wurde, und nach dem 30jährigen Krieg in das gebeutelte und ohnehin dünn besiedelte Land gern Menschen aufnahm.
Suche nach Ochocin, Kreis Luzk, heute Ukraine, Wolhynien: Geburtsort meiner Mutters Mutter. Stoße auf Geschichte der Besiedlung von Wolhynien: Menschen, die im 19. Jahrhundert ihr Glück machen wollten und dafür Gebiete des heutigen Deutschlands oder Polens verließen, um in Wolhynien (oder Volyn) Landwirtschaft zu betreiben
Viel Material gefunden, gelesen, angelesen, innerlich gereist in unerschlossene Gebiete, in jeglicher Hinsicht.
Schattenseiten aufgeworfen, Ablehnung und Vertreibung, Enteignung in Wolhynien in den 1910er Jahren. Eine Welle von Vertreibung unter anderen.
Es war und ist viel Bewegung in Europa.
./. Exkurs
Während ich Geschichte betrachte, drängt sich mir die Analogie zu einem Musikstück auf: Die große Sinfonie mit dem immer wiederkehrenden Leitmotiv in Variationen zum Thema – vor allem LEIDmotiv. Hört das denn nie auf? Wie dumm sind die Menschen, dass sie einander quälen, unterdrücken, morden, nur um Recht zu haben? Nur um zu bestimmen? Nur um die eigene Meinung und die eigenen Ansichten durchzusetzen, über alles zu stellen?
Heute auf dem Dachboden bei meiner Mutter gewesen. Nach ihrem Tod vor einigen Monaten ist vieles geordnet. Der Dachboden noch nicht.
Kartons durchgeschaut mit meiner Schwester auf der Suche nach Spuren der Vergangenheit, der Großeltern.
Gefunden:
Ein rotes Familienstammbuch. Die im Danziger Web-Archiv Entdeckten sind tatsächlich meine Urgroßeltern! Johannes und Louise.
Fotos. Von denen uns niemand mehr erklärt, wer darauf zu sehen ist.
Außer Anlass und Person sind rückseitig notiert. Manchmal sogar mit dem Zusatz "Zur lieben Erinnerung an...."
Manchmal kann ich die Worte auch nicht entziffern, in der alten Handschrift.
Hieroglyphen, die Geduld verlangen, entschlüsselt werden wollen. Oder ihr Geheimnis bewahren.
Und Fotos von Grabsteinen. Wo die Steine sich wohl befinden? Oder sind sie schon eingeebnet, die zugehörigen Grabstätten?
Es gibt Hinweise für weitere Detektiv-Arbeit. Spannend, ich freue mich darauf, mich demnächst weiter und intensiver mit den Funden zu befassen!
Gleich erstmal Reise in die jüngere Vergangenheit, hier an meinem Geburtsort: 30 Jahre Abitur- Treffen.
Den Aufenthalt am Geburtsort verbunden mit dem Besuch beim Vater (meine Mutter und mein Vater haben sich vor über 40 Jahren getrennt), Urgoßvater, Tante, die praktischer Weise in einem Haus leben.
Es ist ein sonniger Tag und wir sitzen auf der Terrasse. Opa hat gerade sein Bringdienst Mittagessen am Wickel, und mein Vater fängt an zu erzählen. Meine Tante, seine älteste Schwester (er hat
zwei), kommt irgendwann dazu. Opa macht sein Schläfchen. Die Tante geht, kommt später wieder, zwischenzeitlich taucht ihr Mann, mein Onkel auf, blass und schmal im Gesicht, wegen der Chemo. Er
wirft zwischendurch ein, seine Oma wäre auch Hugenottin gewesen. Dazu möchte ich ihn ein anderes Mal gerne befragen.
Im Gespräch mit meinem Vater erfahre ich viel, es geht auch viel durcheinander, aber eine Chronologie arbeitet sich heraus. Vom Besiedeln einer Gegend in Rumänien, vermutlich im 19.
Jahrhundert,
bis zu den Wirrungen im und um den Zweiten Weltkrieg herum.
Meine Oma Pauline, die auf dem Weg von Rumänien über Polen schließlich nach Brandenburg kommt und mit ihrer Mutter auf dem Gehöft meines Opas bleibt. als zugeteilte Hilfsarbeiterin.
Arbeit und Wohnen für Geflüchtete. Der Onkel verwaltete den Hof, mein Opa war zu der Zeit keine Zwanzig und noch nicht aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Sein Gesundheitszustand war schlecht,
er musste gepflegt werden. Meine Großeltern heirateten noch in den 1940er Jahren und führeten den Hof gemeinsam.
Die nächste Odyssee begann Ende der 1950er Jahre, als mein Opa wohl bei einer feuchtfröhlichen Zusammenkunft etwas sagte, was kritisch gegenüber den herrschenden Bedingungen war. Aus Furcht
vor Repressalien wurden in Eile die Koffer gepackt und die Flucht ergriffen. Aus Brandenburg über Berlin nach dem Westen. Mein Vater erzählt von den einzelnen Stationen, die er als Vorschulkind
erlebt hat. Lager für Geflüchtete verschiedener Art, immer sehr beengt, sehr behelfsmäßig, mit Decken abgehängte Abteile für Familien, keine Privatsphäre, kein persönlicher Raum.
Neuerlicher Besuch in der städtischen Bibliothek. Meine gespannt erwartete Vormerkung "Die Verwandelten" von Ulrike Draesner ist abholbereit. Die Verwandelten erzählt von Faruen in der Jetzt- und der NS-Zeit, greift das Thema "Lebensborn" auf und befasst sich damit, was Frauen im Krieg und davor und danach erlebten und wie sie überlebten. Informationen über Lebensborn, die Heime für nicht verheiratete Mütter und aus Ostgebieten verschleppte Kinder, finden sich zum Beispiel hier:
https://www.spiegel.de/geschichte/ss-lebensborn-a-948211.html
Verweile in der Bibliothek, Recherche in Abteilung Geschichte, Ausleihe diverser Bücher (Wälzer...) zu deutscher Geschichte, Vertreibung, Kriegsgefangenschaft, Hitler-Stalin-Pakt und
mehr.
Seit einigen Tagen höre und lese ich "Kriegsenkel" von Sabine Bode. Den Doppelpack Hören und Lesen mag ich, weil die unterschiedlichen Qualitäten tiefere und facettenreichere Zugänge, eine andere
Intensität bieten: Eigene Bilder, einsteigen, sich fallenlassen beim Hörbuch. Aktiv, aufnehmend, (aus-)wertend beim Selberlesen. Inklusive Mischformen.
Fiese Geschichten, die die im Buch vorgestellten Eltern durchmachen mussten. Kaum darüber gesprochen. Schweigen. Sprachlosigkeit.
Besonders die Frauen und Kinder - Opfer von Vergewaltigungen übelster Sorte. In Flüchtlingslagern wurden Kinder auf Geschlechtskrankheiten untersucht....
Ein Marsch mit unglaublich viel zivilem Leid und Tod hinaus aus der Stadt Breslau (heute: Wrocław), angeordnet vom Gauleiter der Nationalsozialisten. Sein Auftrag: Die "Festung" Breslau unbedingt
halten. Die viel zu spät erfolgte Evakuierung der Bewohner:innen, dazu der Geflüchteten, die bereits aus dem Osten gekommen waren. Alles, was nicht kämpfen konnte, musste raus. Die
Evakuierung mit Zügen ging nicht schnell genug und wurde gestrichen - im Ansturm der Massen am Bahnhof wurden viele Menschen, vor allem Kinder, totgequetscht oder -getrampelt. Frauen,
Kinder und Alte mussten nun zu Fuß raus. Anfang 1945, bei minus 20 Grad. Erfrorene blieben am Wegesrand. Viele Babys. Begräbnis nicht möglich. Gefrorener Boden, gebotene Eile.
Berichte darüber zum Beispiel hier: https://www.welt.de/print-wams/article617628/Eine-schlesische-Tragoedie.html
Auch diejenigen, die in dieser Zeit in Deutschland lebten, machten Unvorstellbares durch: Feuermelder, einer der nach Bombenangriffen Brandherde sucht, die gelöscht werden müssen, und als Junge die Toten, die Zerfetzen sieht. Leben in Kellern, in Angst.
Fragen:
Welche Dunkelheit liegt über dem Schicksal der Frauen meiner Familie?
Das werde ich wohl nicht mehr erfahren.
Die Suche nach Männern, die Schutz bieten? Die Suche nach Sicherheit? Die Angst?
"Wem es zu gut geht, den bestraft das Leben." Das war der Leitspruch einer der im Buch "Kriegsenkel" vorgestellten Familien.
Auf Katastrophen geprägt? Mit einem normalen, glücklichen Leben nicht zurechtkommen, weil die Erfahrungswerte dafür fehlen?
Lese in der Zeitung einen Beitrag über die Schauspielerin Zar Amir Ibrahimi, die vor 15 Jahren aus dem Iran geflohen ist. Berichte über Verfolgung und Unterdrückung, die politisch- religiös motiviert ist. Quälen und Morden.
Recherchiere in zwei Büchern. Eines ist ein Nachschlagewerk zu Allgemeinbildung vom Kaiserreich zur Teilung der deutschen Nation, deutsche Geschichte 1890 bis 1949. Das andere ist "Die große Flucht. Das Schicksal der Vertriebenen" von Guido Knopp. Die Konfrontation mit den Grausamkeiten, dem verstiegenen Machtwahn und der Gewalt, welche Gegengewalt auslöste, ist kaum zu ertragen.
Es wird für mich immer mehr eine Schablone, ein Muster: Krieg und Diktatur. Die Strukturen sind immer gleich. Jemand hat die Idee, eine bestimmte Ideologie, ein bestimmtes Ansinnen durchzusetzen. Findet ähnlich Motivierte, baut Strukturen auf, welche eine eventuell vorhandene Demokratie unterwandern. Legitimisiert seinen Ansinnen mit Pseudoargumenten und -beweisen.
Letztendlich alles nichts anderes als heiße Luft, die einem narzisstischen, egoistischen, machtbesessenen Menschen und seinen Gleichgesinnten dabei hilftb ein System des Schreckens über ein Land
(und manchmal auch noch andere Länder) auszubreiten. Wie furchtbar es ist, dass sich das immer wieder wiederholt. Seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte, seit Anbeginn der Aufzeichnungen, gibt
es genau das. Wie dumm ist es doch, dass die Menschen immer wieder darauf reinfallen! Wo bleibt der Blick aus der anderen Perspektive, der Metaperspektive, dass Einen -Schritt- zurücktreten?
Immer wieder frage ich mich: Wohin führt mich meine Materialsammlung? Was mache ich aus all dem, was ich an Informationen lese, aufnehme, aus dem, was ich lerne? Was kann ich daraus machen, um etwas zu ändern? Wie schlage ich die Brücke von meinen Großeltern ins Heute? Ist heute nicht vieles ähnlich? Wir sehen nicht die Verantwortung dafür, aus welchen Gründen Menschen auf die Flucht gehen. Wir kümmern uns nicht (genug) um die Ursachen- weil wir es nicht können? Wir kümmern uns nur um die Lenkung und Verwaltung der Fluchtströme. Das reicht nicht aus. Wenn wir alle zusammen durch Konsum, durch Lebensstil, durch Waffenlieferungen dazu beitragen, dass in anderen Teilen der Welt Krieg und Verfolgung herrscht, dann müssen wir etwas dagegen tun.
Heute scheint Flucht auch ein wirtschaftlicher Faktor zu sein: Menschen verdienen Geld daran, die Schleuser, die Menschenhändler, sie alle zocken den Flüchtenden, den Menschen auf der Flucht das
letzte Geld ab. Was ist mit den Menschen, die kein Geld haben, das ihnen auf der Flucht hilft? Gibt es eine Flucht- Mafia? Das zumindest wäre ein Unterschied zu den Zuständen, die während des
Zweiten Weltkriegs und dann nach herrschten. Oder haben damals auch schon Menschen in diesem Ausmaß daran verdient, dass andere flüchten mussten?
Jetzt weiß ich, was mich so schreckt und belastet bei der Lektüre der ganzen Schicksale im Verlauf des und nach dem Zweiten Weltkrieg. Es ist das Wissen, dass all dies nicht einfach nur Vergangenheit ist. Es ist das Wissen, dass genau das irgendwo auf der Welt gerade stattfindet. Es ist kein in der Vergangenheit abgeschlossener Prozess. Ein Teil dieser Brutalitäten, Massaker, Quälereien, finden auch genau jetzt irgendwo auf der Welt statt. Vielleicht sogar gar nicht so weit von hier. In der Ukraine. Im Sudan und weiteren Regionen auf dem arikanischen Kontinent. In Südamerika. In China. Im Iran. Diese Reihe lässt sich fortsetzen.
Die Welt als einen schrecklicher Ort, nicht liebenswert, bedrückend. Dystopie überall. Wie kann ich, können wir dem etwas Positives entgegensetzen?
Morgen, am 8. Mai, wird des Endes des Ersten Weltkriegs gedacht.